Die Konjunktur brummt, doch Fachkräfte machen sich rar. Jetzt sollen Steuergelder den Unternehmen helfen, ihre Mitarbeiter fit zu machen für die Jobs der Zukunft
Ob in der Pflege, Handel, Handwerk oder Industrie – in Zeiten der Vollbeschäftigung ist der Markt für Fachpersonal in Deutschland wie leergefegt. Laut einer Studie des Baseler Forschungsinstituts Prognos von 2015 könnten bis zum Jahr 2030 drei Millionen qualifizierte Fachkräfte fehlen. Längst versuchen deutsche Unternehmen ihr Personal fit zu machen für den Fortschritt. Sie schicken ihre Mitarbeiter zu Schulungen und Lehrgängen, auf eigene Rechnung, denn finanzielle Hilfen für Weiterbildung durch die Arbeitsagentur sind bisher Arbeitsuchenden und gering qualifizierten Mitarbeitern ohne Berufsabschluss vorbehalten. Das soll sich jetzt ändern. Die Bundesregierung will
künftig betriebliche Weiterbildungsmaßnahmen auch für Arbeitnehmer mit abgeschlossener Ausbildung bezuschussen. Am 18. September billigte das Kabinett das Qualifizierungschancengesetz. Der Entwurf des Arbeitsministeriums sieht vor, sozialversicherungspflichtigen Mitarbeitern, die mindestens vier Jahre in einem Betrieb arbeiten, staatliche Zuschüsse zu Fortbildungen zu gewähren. Unternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitern bekommen die Bildungsmaßnahmen komplett finanziert, größere Betriebe mit mehr als 250 Arbeitnehmern bezuschusst die Arbeitsagentur mit einem Viertel der Weiterbildungskosten. Wer ausreichend qualifiziert ist, muss sich um seinen Arbeitsplatz keine Sorgen machen – so die Logik des Gesetzes.
Daher sinkt laut Entwurf der Arbeitslosenbeitrag des Bruttoeinkommens um 0,4 Prozentpunkte auf 2,5 Prozent. Durch die Entlastung bei der Arbeitslosenversicherung könnten Unternehmen in Deutschland 2,5 Milliarden Euro jährlich einsparen, so steht es im Entwurf des Arbeitsministeriums, das bis Ende dieses Jahres 22,5 Milliarden Steuergelder für die Weiterbildungskosten gehortet haben will. Dass die Gruppe der Arbeitnehmer in den Fokus der Weiterbildung rückt, ist kein Wunder. Denn was nützt eine abgeschlossene Ausbildung, wenn sich die Anforderungen an den Job komplett ändern?
Horst Sahrbacher, Chef der Arbeitsagentur Offenburg, kennt das Problem. Die Region Offenburg liegt mit einer Arbeitslosenquote von 2,7 Prozent unter dem Bundesdurchschnitt von 3,4 Prozent, viele Arbeitgeber suchen händeringend nach qualifiziertem Personal. „Wir haben einen signifikant hohen Bedarf an Fachkräften querbeet durch alle Branchen“, berichtet Sahrbacher. 180 100 Arbeitnehmer zählt die Arbeitsagentur in der Region Offenburg, davon haben 25 000 keinen qualifizierten Berufsabschluss. Die Arbeitsagentur rät den Unternehmen, das Potenzial der Ungelernten mit Lohnsteuerkarte „so zu qualifizieren, dass sie in ihrem Betrieb als Fachkräfte arbeiten“. Für die wichtigste Aufgabe hält Sahrbacher, Schulabgänger von den Ausbildungsberufen zu überzeugen, die die Wirtschaft braucht. Industrie 4.0, künstliche Intelligenz – die Fachkräfte von morgen sind heute schon gefragt. Trotzdem setzen die staatlichen Jobvermittler wie bisher auch auf staatliche Hilfen für eine qualifizierte Ausbildung, um wenigstens den demografisch bedingten Mangel an Nachwuchs abzufedern. Und doch ist es mit dem Berufsabschluss und einem Job in der Tasche nicht getan, das weiß auch der Offenburger Agenturchef. „Durch die Auswirkungen der Digitalisierung ist lebenslanges Lernen das Gebot der Stunde“, meint Sahrbacher und zitiert damit auch Arbeitsminister Hubertus Heil, der „lebenslanges Lernen“ als „zentralen Baustein für die Beschäftigungssicherung der Zukunft sieht“. Das Qualifizierungsförderungsgesetz sieht vor, dass auch ältere Mitarbeiter wieder die Schulbank drücken und mit der neu erworbenen Qualifizierung möglicherweise ihren Arbeitsplatz erhalten. Das ist auch im Sinne von Dr. Steffen Auer, Präsident der IHK Oberrhein. „Der Gesetzentwurf versetzt die Agenturen für Arbeit besser als bisher in die Lage, auch präventiv tätig zu werden und nicht erst, wenn die Arbeitslosigkeit bereits eingetreten ist.“ Auer sieht in dem geplanten Gesetz also „durchaus einen Beitrag zur Fachkräftesicherung“.
Doch auch dem oberrheinischen Kammerpräsidenten macht die Ausbildungssituation Sorgen. „Nach unseren Erhebungen liegt das Verhältnis beim Bedarf duale Ausbildung und akademischer Abschluss fünf zu eins. Die Vorzüge der dualen Ausbildung bei jungen Menschen wieder stä rker ins Bewusstsein zu rücken, ist daher auch für die IHKs ein zentrales Handlungsfeld.“ Es liegt auf der Hand, dass es für Unternehmen effektiver ist, gut ausgebildetes Fachpersonal einzustellen, statt Lehrgänge zu organisieren für Mitarbeiter, die dann innerbetrieblich vertreten werden müssen. „Das“, so Auer, werde „zunehmend zum Flaschenhals“. Trotzdem und ohne staatliche Zuschüsse registrieren die IHKs „ein starkes Interesse der Unternehmen, in die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter zu investieren“, sagt Auer. Seiner Ansicht nach ist dies ist nicht nur ein sinnvoller Weg, Fachkräfte aus der eigenen Mitarbeiterschaft heraus zu entwickeln, sondern auch ein Instrument der Personalbindung.“ Weiterbildung ja, aber ohne staatliche Einmischung – das will Thomas Fuchs, Personalleiter der Tesa SE. Der Kleber-Konzern betreibt in Offenburg seinen weltweit zweitgrößten Standort mit 450 Mitarbeitern. Dass die Arbeitsagentur nach der neuen Gesetzesvorlage durch die Zuschüsse über Sinn oder Unsinn von Weiterbildungsmaßnahmen in Unternehmen mitentscheidet, kommt für Fuchs nicht in Frage: „Grundsätzlich sind die Unternehmen dafür zuständig, für den Job notwendige Weiterbildungsmaßnahmen anzubieten. Nur sie können und müssen sicherstellen, dass die Weiterbildung sinnvoll und zielgerichtet ist. Staatliche Eingriffe sind dafür nicht notwendig. Den Fachkräftemangel beheben kann die neue Gesetzesvorlage sicherlich nicht.“
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