Seit mehr als vier Jahrzehnten arbeiten Forscher auf dem Gebiet der Zell- und Gentherapie daran, den Krebs zu besiegen. Nach einigen, teils spektakulären Therapieerfolgen scheint dieses Ziel plötzlich greifbar nah wie nie zuvor. An diesem Forschungsfeld ist auch die Freiburger Medizinerin Felicia M. Rosenthal mit ihrem Biotech-Unternehmen Cellgenix beteiligt
Es ist der Lebenstraum vieler Mediziner: den Krebs zu besiegen. Die jüngsten Therapieerfolge auf dem Gebiet der Zell- und Gentherapie haben sie diesem Ziel nach jahrzehntelanger Forschungsarbeit zuletzt ein gutes Stück n her gebracht. 2017 zertifizierten die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA (Federal Drug Agency) und die European Medicines Agency (EMA) die sogenannte CAR-T-Zell-Therapie, die Patienten mit akuter lymphatischer Leukämie (ALL) und B-Zell-Lymphomen bislang ungeahnte Heilungschancen eröffnet – und der Pharmaindustrie einen gänzlich neuen Markt mit enormem Wachstumspotenzial.
Die CAR-T-Zell-Therapie Kymriah des Schweizer Pharma- und Biotech-Konzerns Novartis war das erste derartige Gentherapeutikum mit Marktzulassung. Zahlreiche Hersteller folgten mit ähnlichen Produkten oder sind gerade dabei, diese zu entwickeln. Was sie eint: Anders als die meisten klassischen Arzneimittel zielen die neuartigen Zell- und Gentherapeutika auf die Entwicklung neuer Möglichkeiten ab, Krankheitsursachen dauerhaft zu beseitigen. Auch wenn die Forschungen noch im Anfangsstadium sind und man mit Rückschlägen rechnen muss, sprechen in Fachkreisen einige bereits von einer neuen Ära der Krankheitsbehandlung. Eine treibende Kraft hinter dieser Entwicklung ist Professorin Felicia M. Rosenthal, Medizinerin und CEO des Freiburger Biotech-Unternehmens Cellgenix, in dessen Aufsichtsrat auch Dr. Frank Wertheimer während seiner Zeit als Kaufmännischer Direktor des Universitätsklinikums Freiburg vertreten war. Heute, als Partner der Kanzlei KRAUSS-LAW, ist er unter anderem im Bereich des Medizinrechts tätig. Das Freiburger Unternehmen Cellgenix gehört zum kleinen Kreis von Produzenten sogenannter Zellkulturmedien und Wachstumsfaktoren, ohne die keine Zell- oder Gentherapie durchführbar w re. Jetzt, im 25. Jahr seines Bestehens, ist Cellgenix auf dem besten Weg, sich als führender Supplier auf dem Markt zu etablieren.
Um den herausragenden Fortschritt auf dem Feld der Zell- und Gentherapie für die Krebsforschung besser einordnen zu können, muss man sechs Jahrzehnte zurückgehen – ins Frühjahr 1960. Damals wird Edward Donnall Thomas, der Chefarzt des Mary Imogene Bassett Hospitals in Cooperstown, New York, mit dem Fall der sechsjährigen Zwillinge Barbara und Nancy Lowry konfrontiert. Barbara ist kerngesund. Nancy hat eine seltene Störung des Immunsystems. Ihre Abwehrzellen attackieren die blutbildenden Stammzellen im Knochenmark. Das führt zu einem rasanten Rückgang der Blutzellen in Nancys Körper und zu schwerwiegenden gesundheitlichen Problemen. Thomas aber findet die Lösung: Er heilt Nancy, indem er ihr gesunde Stammzellen ihrer Zwillingsschwester transplantiert. Was, fragt er sich nun, wenn es einen Weg gäbe, so auch Leukämie-Patienten erfolgreich zu behandeln? Thomas weiß, dass sich durch Chemotherapie und Bestrahlung bösartige Krebszellen abtöten lassen. Aber auch, dass dabei Unmengen an gesunden Zellen ebenfalls absterben, was häufig zu lebensbedrohlichen Infektionen und Immunreaktionen führt. Also entnimmt Thomas seinen Patienten gesunde Stammzellen und führt sie ihrem Körper erst nach abgeklungener Chemotherapie wieder zurück. Mit Erfolg. 1990 erhält Thomas dafür den Nobelpreis. Ein zentrales Problem der Krebstherapie aber bleibt weitere zwei Jahrzehnte ungelöst: die Bekämpfung von Krebszellen, die für das Immunsystem unsichtbar sind. Denn bösartige Krebszellen ähneln gesunden genetisch so sehr, dass die Abwehrzellen des Immunsystems, die sogenannten T-Zellen, sie nicht als Bedrohung für den Körper identifizieren. Die Suche geht also weiter. Felicia M. Rosenthal hat die Entwicklung der Zell- und Gentherapie seit den ausgehenden 1980er-Jahren hautnah miterlebt. Nach Medizinstudium und Facharzt-Ausbildung erforscht sie als Postdoc am Memorial Sloan Kettering Cancer Centre in New York zweieinhalb Jahre lang mit führenden Forschern des Fachgebiets den „retroviral gene transfer in cancer immunotherapy“ und habilitiert sich. Als junge Oberärztin ist sie ab 1994 Teil des Cellgenix-Gründerteams um Professor Mertelsmann von der Uniklinik Freiburg. „Ich wollte mein Know-how schon immer dazu nutzen, Produkte zu entwickeln, die Menschen helfen“, sagt sie heute. „Das geht aber nur, wenn man die Möglichkeit hat, die Ergebnisse seiner Forschungen auch in der klinischen Anwendung auf die Probe zu stellen. So kam die Idee auf, Cellgenix zu gründen.“
Das große Ziel damals: Abläufe für die Herstellung von Zell- und Gentherapeutika zu entwickeln. So, wie sie in der Pharmaindustrie auch bei der Produktion klassischer Fertigmedikamente üblich sind. Das soll zum Beispiel die Prozessierung von Stammzellen bei Gentherapien vereinfachen und es ermöglichen, schneller zu produzieren. Anfänglich entwickelt Cellgenix noch selbst Medikamente, später spezialisiert man sich auf die Herstellung von Wachstumsfaktoren und Zellkulturmedien. Erstere helfen, Stammzellen außerhalb des Körpers zu ernähren. Die Wachstumsfaktoren tragen dazu bei, dass sich die gesunden Zellen ausreichend vermehren können, bevor sie zurück in den Blutkreislauf des Patienten gebracht werden.
Der Durchbruch in der Zell- und Gentherapieforschung kam 2010, als es einem Ärzteteam aus Philadelphia gelingt, erstmals eine Leukämie-Patientin mit Hilfe einer CAR-T-Zell-Therapie erfolgreich zu behandeln. CAR-T steht für „chimäre Antigenrezeptor-T-Zellen“ und beschreibt eine Behandlungsmethode, welche Zell- und Gentherapie miteinander kombiniert. Den Patienten werden „blinde“ T-Zellen aus dem Knochenmark entnommen und in einem Zellkulturmedium genetisch so manipuliert und mit Hilfe von Wachstumsfaktoren potenziert, dass sie, zurück im Körper des Patienten, die für sie zuvor unsichtbaren Krebszellen erkennen und zerstören. Aus einfachen T-Zellen werden so aggressive Tumorkiller: die sogenannten CAR-T-Zellen. Für Cellgenix ist der spektakuläre Therapieerfolg ein Glücksfall.
Zur erfolgreichen Durchführung einer CAR-T-Zell-Therapie bedarf es schließlich genau der Zellkulturmedien und Wachstumsfaktoren, auf deren Herstellung sich das Freiburger Biotech-Unternehmen in weiser Voraussicht bereits Jahre zuvor spezialisiert hat. „Dass unser Ansatz irgendwann erfolgreich sein würde, davon waren wir schon früh überzeugt“, sagt Professorin Rosenthal rückblickend. „Nur wann das geschehen würde, wussten wir nicht. Jetzt sieht es so aus, als ob wir richtig liegen.“ Im 25. Jubiläumsjahr steht das Team von Cellgenix vor dem nächsten großen Wachstumsschritt. Denn über die Behandlung von Leukämien hinaus kommen immer mehr Zell- und Gentherapeutika auf den Markt. Sie sollen der Behandlung von Tumoren, erblichen Gendefekten und anderen Erkrankungen dienen. Cellgenix ist also gefragter denn je. Die Produktpalette wird das Unternehmen deshalb ausbauen. Zuletzt erweiterte Cellgenix seinen Firmensitz am Freiburger Flughafen. Eine momentan im Bau befindliche automatische Abfüllanlage für Wachstumsfaktoren soll noch 2019 fertiggestellt werden. Und es herrscht Aufbruchstimmung. „Beim aktuellen Wachstum rechnen wir damit, innerhalb der nächsten vier Jahre weiter ausbauen zu müssen“, sagt Rosenthal. „Wir gehören heute schon zu den Top-Herstellern unserer Sparte. Unsere Vision ist es, auf diesem Fachgebiet weltweit führend zu sein.“ Dass die Gründer schon früh den richtigen Riecher hatten, zahlt sich jetzt aus, nach zwei Jahrzehnten aufwendiger Entwicklungsarbeit. Bei zahlreichen wegweisenden Studien ist Cellgenix bereits seit Langem mit an Bord. Die Aussichten könnten kaum besser sein
Ein Beitrag von Uli Kammerer, Foto: Chris Keller