Vom Fachkräftemangel kann das Handwerk ein bittersüßes Liedchen singen. Interessante Wege in die Zukunft gibt es indes auch. Der Autodidakt David Schwarz und die Elzacher Schreinerei Becherer sind dafür zwei gute Beispiele…
Wie man seinen Weg als Handwerker zeitgemäß meistern kann, zeigt David Schwarz aus Offenburg. Seit drei Jahren ist der erst 26-Jährige selbständiger Produktdesigner und Innenausstatter. Mit seiner Marke SCHWARZ.LAB kreiert der Autodidakt Luxustische mit Charakterholz aus dem Schwarzwald.
„Ich interessiere mich schon lange für Inneneinrichtung. Mit verschiedenen Materialien zu arbeiten, war schon immer ein Hobby, dann machte ich es zu meinem Beruf“, erzählt Schwarz. Die Liebe zu Holz und Design waren es schließlich, die dem jungen Mann die Inspiration zu den exklusiven Tischen gaben: „Zusammen mit einem befreundeten Schreiner kam die Idee, ein einzigartiges Produkt zu schaffen“, sagt er. Später kamen Stühle, Leuchten, Wandverkleidungen, Tapeten-Design und schließlich ganze Innenausstattungen hinzu. David Schwarz ist dabei wohl ein Ausnahme-Talent, einer ohne Ausbildung. Woher schöpft der Kreative aus der Ortenau seine Ideen?
Nach dem Abitur bereiste der Offenburger als Model fünf Jahre lang die Metropolen der Welt und entdeckte dabei die Arbeiten von Ladenbauern. Es faszinierten ihn vor allem die Concept Stores, die durch ihr ungewöhnliches Sortiment auffallen. Da stehen zum Beispiel Sneaker neben Trendgetränken wie Gin und Wodka aus Lokalbrennereien – eben ein Konzept, das einen bestimmten Lifestyle bedient. Nach der Model-Karriere wusste Schwarz schnell, was er wollte: selbständig sein und Konzepte für die Inneneinrichtung erstellen. „Am Anfang war es schwer, Kontakte zu knüpfen“, sagt der 26-Jährige. Doch nach und nach kamen die Aufträge. Etwa für den „Lust auf Gut“-Concept Store in Freiburg. „Ich bekam die Chance, eine Fläche von 1600 Quadratmetern mit fünf verschiedenen Ladenflächen und Gastronomie zu konzipieren und einzurichten. Die Verwirklichung des Gesamtkonzepts in industriellem Design nahm acht Monate in Anspruch.“ Genauso wichtig wie Kontakte sind für den Designer dabei die Handwerker. „Heutzutage ist Kompetenzteilung enorm wichtig. Jeder kann die Dinge am besten, die er mit Begeisterung macht und auf die er sich spezialisiert hat“, meint der Chef des Ein-Mann-Betriebs. Deshalb vergibt Schwarz Projektverträge gern an regionale Fachbetriebe und Fachkräfte. Mit Stolz und auch ein bisschen demütig schaut David Schwarz auf seine Gründerjahre. „Wenn man eine Chance bekommt, hat man schon Glück gehabt. Jetzt muss man die Möglichkeit auch nutzen“, resümiert er. Die Ideen gehen dem Offenburger aber noch lange nicht aus. „Mein Traum ist es, alle Produkte, die ich für meine Inneneinrichtung verwende, irgendwann einmal selbst zu designen.“
Während David Schwarz noch am Anfang seines Weges steht, hat der Schreinerei-Betrieb Becherer aus Elzach schon viele Umbrüche erlebt. Wenn Magnus Becherers Urgroßvater seinen 1906 gegründeten Betrieb heute sehen könnte, er würde sich wohl die Augen reiben. Aus der klassischen Schreinerei ist eine hochmoderne Werkstatt geworden. In vierter Generation betreiben seine Urenkel Magnus und dessen Cousin Benedikt das Traditionsunternehmen. Ihr Markenzeichen: wertige und individuelle Möbel mit Funktion für Industrie, Gastronomie, Büros, Shops und natürlich Privatkunden.
Sie werden auf der fast 5000 Quadratmeter großen Produktionsfläche hergestellt – mit modernster CNC-Technik. Seit acht Jahren ist die jüngste der Becherer-Generation nun am Zug. „Schreiner ist heute ein moderner Beruf mit IT-Anforderung, ein vielseitiger Job“, sagt Magnus Becherer, der vor seinem Studium des Wirtschaftsingenieurwesens eine Ausbildung zum Schreiner absolviert hat. Heute ist er Teil der Geschäftsführung. War die übernahme schon immer klar geregelt? „Benedikts und mein Vater haben sich schon frühzeitig mit dem Thema der Nachfolge beschäftigt. Mit dem Studium war dann klar: Wir kommen, wir machen das. Es ist natürlich ein großes Glück, einen ordentlichen und zukunftsorientierten Betrieb zu übernehmen.“ Die Anforderungen haben sich auch im Handwerk extrem gewandelt. Digitalisierung, Roboter in der Fertigung, vernetzte Abläufe. Das ist auch für die Becherer spürbar. „Ein Vorteil bei uns ist, dass wir seit fast 30 Jahren mit CNC-Maschinentechnik arbeiten. Unsere Väter waren immer am Puls der Zeit“, erzählt der Nachfolger, der den Wandel durchaus positiv sieht. „Es ist die Vernetzung, die sich auch bei uns in allen Abläufen widerspiegelt. Vom Kreativprozess wird die Fertigungszeichnung direkt in den Produktionsprozess weitergegeben. Das passiert heute alles digital. Wir können mit dem gleichen Personal viel mehr machen.“ Schritt zu halten mit der Zeit ist den Becherers schon immer wichtig gewesen. Das betrifft nicht nur die Technik, auch die Angestellten. Seit 80 Jahren bildet der Betrieb Azubis aus. Dass man sich um gut ausgebildete Mitarbeiter besonders bemühen muss, war den Becherers bereits lange vor dem Fachkräftemangel klar: „Schon vor 25 Jahren ging mein Vater in örtliche Schulen und brach eine Lanze. Nicht nur für unseren Betrieb, sondern das Handwerk an sich. Früh am Ball zu sein, ist bis heute unsere Philosophie.“
Für seine kreativen Bemühungen um Nachwuchs- und Fachkräfte wurde der Betrieb von Regierungspräsidentin Bärbel Schäfer 2014 zum Handwerksbetrieb des Jahres ausgezeichnet. Zuvor riefen die Becherers zusammen mit dem Elzacher Schulzentrum eine Plattform ins Leben, auf der sich Schüler und Eltern über die vielfältigen Ausbildungsmöglichkeiten im Handwerk informieren können. „Ein bunter Querschnitt. Fast jede Firma aus dem Ort ist vertreten.“ Erstmals bekamen die zahlreichen lokalen Zwei- oder Drei-Mann-Betriebe, die es sich nicht leisten k nnen, gro e Jobb rsen zu besuchen, die Gelegenheit, sich potenziellen zukünftigen Mitarbeitern von ihrer besten Seite zu zeigen. Und das Projekt trägt bis heute Früchte: „Wir haben inzwischen über 20 Praktikanten im Jahr. Auch unsere letzten drei Gesellen waren vorher Praktikanten“, sagt Magnus Becherer.
Jungen Leuten Perspektiven aufzuzeigen, sie auf ihrem persönlichen Weg abzuholen, ist für Handwerksbetriebe wichtiger denn je. Auszubildende im Betrieb zu halten, ist ein Thema, das neben dem Fachkräftemangel eine Herausforderung darstellt. „Wir müssen uns abheben von Angeboten aus der Industrie, die andere Arbeitszeiten und höhere Löhne bieten“, sagt Markus Becherer. „Wir sind ein Familienbetrieb, bei uns ist der Kontakt enger. Unsere Mitarbeiter sind nicht nur eine Nummer. Wir Geschäftsführer sind im Tagesgeschäft dabei, sind Partner und leben das vor.“
Präsenz zeigen, sich für die Zukunft rüsten: Die Firmenphilosophie der Möbelwerkstatt Becherer zahlt sich aus. Viele kleinere Betriebe haben dafür allerdings oft nicht ausreichend Kapazitäten.
Das weiß auch Handirk von Ungern-Sternberg, Leiter des Geschäftsbereichs Beratungsdienste/Handwerksrolle der Handwerkskammer Freiburg. „In Zeiten wie diesen, in der viel Nachfrage herrscht, die Handwerksbetriebe zu großen Teilen sehr gut ausgelastet sind, findet man kaum Zeit dafür, sich Gedanken darüber zu machen, ob das eigene Geschäftsmodell in drei oder fünf Jahren noch aktuell ist oder ob man was anpassen muss“, erklärt er. Zum Vergleich: Große Industriebetriebe haben dagegen Fünf bis Zehn-Jahres-Pl ne parat. Deshalb wurde 2016 das Projekt Handwerk 2025 gestartet, initiiert vom baden-württembergischen Wirtschaftsministerium, Fachverbänden und allen acht Handwerkskammern im Land. Ein Ma nahmen-Katalog, der drei Bereiche abdeckt: Digitalisierung, Strategieentwicklung in den Unternehmen und Personal – vor allem mit dem Fachkräftemangel im Blick. „Das ist ein riesiges Thema. Betriebe haben auf der einen Seite volle Auftragsbücher und Aufträge, die sie gar nicht mehr abarbeiten können. Auf der anderen Seite stehen ihnen wenig bis gar keine Fachkräfte zur Verfügung. Dann sieht man, dass die Betriebe in einer Falle stecken“, sagt von Ungern-Sternberg. Dabei befinde man sich jetzt noch in einer schwächeren Vorstufe des Fachkräftemangels. „Erst im Jahr 2020/21, wenn die geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand gehen, wird es richtig eng“, prognostiziert der Experte. Umso bedeutender ist das Projekt Handwerk 2025, welches mit kostenlosen Beratungen auch in die Betriebe hineingeht. Aber nicht nur die Fachkräftegewinnung steht bei den Maßnahmen, von denen bereits einige umgesetzt wurden, ganz oben auf der Liste. „Es geht auch darum, dem Fachkräfteschwund innerhalb der Betriebe entgegenzuwirken.
Denn die Verbleibquote ist nicht sonderlich hoch. Etwa zwei Drittel der Auszubildenden, die in einem Handwerksbetrieb ihre Lehre absolviert haben, wechseln in ihrem Erwerbsleben in andere Branchen.“ Aber wohin gehen sie? „Nach der betrieblichen Ausbildung schließen Mitarbeiter vermehrt ein Hochschulstudium an. Häufig wechseln auch Handwerker in die Industrie, da dort strukturell höhere Gehälter gezahlt werden“, sagt Ungern-Sternberg. Dass diese Entwicklung nicht zwangsläufig das Aussterben klassischer Handwerksbetriebe bedeuten muss – klar. Viele Wege führen schließlich nach Rom. Man muss nur den richtigen finden …
Foto: Jan Reiff