Kaelin Aero in Oberndorf beliefert nicht nur weltweit Flugzeughersteller, sondern hat auch eine ganz eigene Mission: die legendären Junkers-Maschinen zu neuem Leben zu erwecken …
Hier im Gewerbegebiet des Oberndorfer Ortsteils Hochmössingen herrscht geschäftiges Treiben. Holzverarbeitende Betriebe reihen sich an typisch schwäbische Werkzeugschmieden – es gibt einen Motorradladen, eine Sparkasse mit Geldautomat und ein kleines Autohaus. Alles ist so, wie es sich gehört in einer schwäbischen Kleinstadt. Alles? Nicht ganz: Denn ein Unternehmen sticht heraus: Kaelin Aero, ein innovativer Flugzeugbauer mitten auf der grünen Wiese.
Kaelin stellt legendäre Junkers-Nachbauten her, ist Zulieferer und Partner für den zivilen und militärischen Flugzeugstrukturbau. Egal ob Transportflugzeug, Kampf- oder Businessjet: die Liste der Leistungen bei Kaelin ist lang. Von Hochmössingen in die Welt sozusagen – oder eben in die Luft – ganz nach dem Motto: Träume bleiben nicht am Boden … Bei Kaelin Aero wird seit 2012 geschraubt, lackiert, genietet, gebaut, gebohrt, gesägt, verschweißt und montiert. Der Kopf hinter dem Laden? Dominik Kälin. Der Schweizer hat das Flugzeugbauerhandwerk bei der Pilatus Flugzeugwerke AG in Stans am Vierwaldstättersee von der Pike auf gelernt und nach einer vierjährigen Ausbildung mit anschließender Berufstätigkeit den Sprung in die Selbstständigkeit mit einem mobilen Flugzeugservice- sowie Reparaturbetrieb gewagt und sich im Anschluss bei einschlägigen Luftfahrtunternehmen einen guten Ruf erarbeitet. Er reiste um die Welt und machte Flieger wieder flott – mal nur ein paar Tage, meistens ein paar Wochen, manchmal ein paar Monate. Bei einem dieser Aufträge lernte er am Flughafen Lahr schließlich seine heutige Frau Sandra kennen. In der Heimat der Pilotin gründeten die beiden dann ihr Unternehmen, in dessen Werkshallen wir nun stehen.
Retro-Hülle mit modernstem Inhalt
Und dieses Unternehmen hat es im wahrsten Sinne des Wortes in sich. In Halle 1 hängt an der Decke das Gerippe einer alten Antonow. „Ein Liebhaberstück“, sagt Dominik Kälin. „Ich habe sie gekauft, um sie zu restaurieren, aber ich komme leider nicht dazu“. Tja, so ist das eben mit den vollen Auftragsbüchern. Gleich unterhalb dieses Alumonsters befindet sich eine Art Produktionsstraße, an deren Ende ein Aluminiumkonstrukt steht, das einmal eine Junkers A60 werden soll. Bei der Neuauflage des legendären Fliegers mit der typischen Leichtmetall-Wellblechbeplankung handelt es sich um ein Ultraleichtflugzeug der 600-Kilo-Klasse. Genau wie sein historisches Vorbild wird er als offener Tandemsitzer gebaut und entspricht dem typischen Leichtflugzeugbild der 1920er-Jahre. Aber: Heute kommt bei seinem Bau neueste Technologie zum Einsatz. Angetrieben wird der kleine Sportflieger von einem Vierzylinder- Rotax-Motor mit 100 PS und einem MT-Propeller. Die Bremsen stammen von Beringer, die Avionik von Garmin. Das sorgt – gemeinsam mit dem zusätzlich eingebauten Galaxy-Rettungssystem im früheren Gepäckfach – für größtmögliche Sicherheit. Alles wird auf modernen Screens im sonst ebenfalls auf retro getrimmten Cockpit dargestellt, die der Pilot vom hinteren Sitzplatz aus überwacht. Das Modell vor uns wird jedoch niemals in die Luft gehen. „Das ist nur eine Bruchzelle“, erklärt Dominik Kälin. „Bruchzellen sind aus Rumpf, Tragflächen und Leitwerk bestehende Flugzeuge, mit denen statische Bruchversuche sowie Ermüdungs- und Schwingungsversuche durchgeführt werden und die dabei oft bis zum tatsächlichen Bruch belastet werden.“ Erst wenn diese Tests bestanden sind, kann die Serienproduktion beginnen.
Es sind Hobbypiloten und Liebhaber, die eine A50 bestellen, dafür knapp 200 000 Euro auf den Tisch legen und – Stand heute – etwa anderthalb Jahre Wartezeit mitbringen müssen. Vertrieben und verkauft werden die Flugzeuge von Junkers selbst, die Produktion ist bereits für die kommenden zwei Jahre ausgelastet. „Im Prinzip sind die Maschinen für Leute gedacht, die einfach Spaß am Fliegen haben. Es erfüllt uns mit Stolz und Freude, wenn diese Nachbauten unsere Hallen als flugtaugliche Luftfahrzeuge verlassen“, sagt Dominik Kälin. So, wie es bereits mit der Neuauflage der Junkers F13 der Fall war. „Das ist ein Gänsehautmoment, wenn man so einen Flieger zum ersten Mal abheben sieht“, findet auch Dr. Stefan Krauss. Der Kalkül-Mitherausgeber ist nämlich nicht nur Rechtsanwalt und Wirtschaftsjurist, sondern seit Jugendtagen auch Pilot – und kennt sich hier oben bestens aus. „Ich bin in der Nähe aufgewachsen, habe meine Fliegerlaufbahn am Flugplatz in Winzeln-Schramberg begonnen.“ Kein Wunder, dass Krauss mit 16 leuchtenden Augen durch die Hallen von Kaelin Aero geht …
Mit Hingabe bei der Sache
Das Kerngeschäft von Kaelin Aero bleibt neben dem Junkers-Bau die Reparatur und die Zulieferung von Teilen für die Flugzeugindustrie. Einer der größten Kunden ist die Schweizer Pilatus Flugzeugwerke AG, für die Kaelin Aero unter anderem Tore und Höhenflossen für den Businessjet PC-24 anfertigt, der weltweit als Geschäftsflugzeug, aber beispielsweise auch für den australischen Royal Flying Doctor Service zum Einsatz kommt.
Die Werkshallen sind daher gefüllt mit allerlei Bauteilen, an denen viele fleißige Hände ihr Werk tun. Da ist zum Beispiel Simone Haibt, die mit ruhiger Hand die haarfeinen Fugen eines Pilatus-Bauteils mit schwarzer Dichtungsmasse bestreicht. Oder Rüdiger Steinert, der gerade den neuen Flügel einer Hawker Hurricane aus den 1940ern baut. „Meine Leute sind mit Hingabe dabei“, sagt Dominik Kälin. Fachkräftemangel sei zwar auch in der Branche ein Thema, für ihn aber kein Problem. „Hier gibt es noch gute Handwerker und Metallbauer“, anständige Leute vom Land, wie Kälin sagt. Seine Flugzeugbauer bildet er selbst aus, sogar einen Bäcker habe er schon umgeschult. Sie lernen das, was auch er selbst einst lernte, bevor er aufbrach in die Welt, um Flugzeuge zu reparieren, und schließlich Unternehmer mit 48 Angestellten wurde.
Träume bleiben nicht am Boden
Ob er die Zeit damals vermisst? „Natürlich!“, sagt Kälin. „Es war Freiheit pur, ich habe das Abenteuer gelebt und geliebt, kam viel herum und habe die Welt gesehen. Trotzdem haben wir einen schönen Spielplatz hier. Und das Privileg, Flugzeuge entwickeln und bauen zu dürfen, wobei uns unsere Kunden weitgehend freie Hand lassen. Das ist ja auch irgendwie ein Abenteuer.“ Die Zeiten aber seien schwierig, meint er. Besonders die Rohstoffkrise und der damit verbundene Materialmangel machen ihm zu schaffen. „Meines Erachtens kam das aber nicht nur durch Corona und den Ukraine-Krieg. Probleme mit Aluminium haben wir schon lange, was natürlich blöd ist, wenn man mit den Junkers-Maschinen Flieger baut, die fast ausschließlich daraus bestehen.“
Optimistisch in die Zukunft blickt Kälin dennoch. Irgendwann, sagt Sandra Kälin, wolle ihr Mann seine ganz eigene Maschine bauen, so wie es der Einsiedler Anzeiger in einem Artikel über Kälin schrieb: „Von einem, der auszog, um seinen Traum vom eigenen Flugzeug zu realisieren.“ Wann das sein wird, steht zwar noch in den Sternen, wie das Flugzeug aber aussehen soll, weiß Kälin genau. Ein Zweisitzer-Tandem, schnell und gut ausgestattet. „Wie ein Porsche mit Propeller“, sagt er lachend und lässt den Blick über die Landschaft streifen. Wer Kälin kennt, weiß, dass das irgendwann wahr sein wird. Denn Träume bleiben nicht am Boden.
Ein letzter Beitrag von Patrick Czelinski / Foto: Jigal Fichtner