Die Olympischen Spiele sind ausgefallen. Allein in Deutschland fehlt dem Sport durch Corona mehr als eine Milliarde Euro. Wie man das wegsteckt und was das für ihn persönlich bedeutet, hat uns der Profi -Leichtathlet Johannes Vetter verraten
Der Offenburger Johannes Vetter ist mit 27 Jahren der beste Speerwerfer der Welt. Seiner Konkurrenz war der 1,88-Meter-Hüne in dieser Saison so weit voraus, dass seinetwegen vielleicht wieder einmal die Regeln der Sportart geändert werden müssen. Denn weiter als 100 Meter soll man nicht werfen können – genau das aber hat Jojo vor … Bevor es so weit ist, trafen wir ihn im Oktober beim Trainingsauftakt für die Outdoor Saison 2021 und sprachen mit ihm übers Geldverdienen und das Geschäftsmodell von Spitzensportlern, über die Rolle der sozialen Medien und das Entwickeln einer eigenen Marke, über Olympia und neue Ziele …
Neun Wettkämpfe, neun Siege – aber keine Olympischen Spiele: War 2020 dennoch ein gutes Jahr für Dich?
Natürlich, klar! Aber es war auch schade, dass der Höhepunkt des Jahres ausgefallen ist. Auch wirtschaftlich. Mit den 97 Metern wäre Gold bei Olympia so was von drin gewesen, und so ein Erfolg hat für einen Leichtathleten natürlich einen enormen Vermarktungswert. Zudem ist unterm Strich halt doch die Hälfte der Wettkämpfe ausgefallen – aber wenn das nach Jammern klingen sollte, dann ist es Jammern auf hohem Niveau.
Was kostet so ein nicht gewonnener Olympiatitel? Oder besser: Was hättest Du damit wirtschaftlich erreichen können?
Neben Prestige und Anerkennung gibt es natürlich bessere Vermarktungschancen. Ebenso wichtig aber ist: Man wird als Sportler mehr gehört, mehr gefragt und darf sich an wichtigen Diskussionen zur Zukunft des Sports stärker einbringen.
Und in Zahlen? Ist Gold eine Million wert oder eher nur 50 Riesen?
Das kann man so nicht sagen. Das wäre Spekulation. Aber der DFB hat unlängst errechnet, wie viel Geld dem Sport durch Corona insgesamt fehlt und da sind wir bei mehr als einer Milliarde Euro. Wie viel es bei mir persönlich ist – da reden wir sicher über einen sechsstelligen Betrag, der mir flöten gegangen ist.
Ohne Corona wäre es vielleicht Dein Jahr gewesen. Mit den Olympischen Spielen als größte Bühne der Welt. Wie steckt man so etwas mental weg?
Das habe ich eigentlich ganz gut hinbekommen. Als klar war, dass Olympia ausfällt, habe ich mir direkt drei neue Ziele gesetzt: 90 Meter werfen, Deutscher Meister werden und die Weltjahresbestleistung schaffen. Das habe ich nach den ersten drei Wettkämpfen schon hingebracht und war dann sportlich einfach in einem guten Flow. Und nur so geht’s: Man muss eine Situation so nehmen, wie sie ist. Ganz neutral. Danach kann man sich auch seine eigene Comfort-Zone einrichten und fühlt sich gut.
Du bist Spitzensportler. Ein Profi. Der weltbeste Speerwerfer. Was hast Du nach einem Jahr verdient, in dem Du alles gewonnen hast, was es zu holen gab?
Boah. Eigentlich redet man über so was doch nicht, oder?
Hier schon …
Ein sechsstelliger Betrag war es schon. Kein riesengroßer, aber auch kein ganz kleiner … Damit liegt Dein Jahresverdienst in etwa bei dem, was ein Robert Lewandowski jede Woche kriegt. Wie aber funktioniert das Geschäftsmodell eines Spitzensportlers, der kein Fußballer, kein Tennisspieler, kein Rennfahrer und kein Boxer ist? Lebst Du von Preisgeldern? Von Sponsoren? Oder am Ende vom Bundeswehrsold? Zunächst tatsächlich vom Bundeswehrsold und der deutschen Sporthilfe. Dann kommen Sponsorengelder, Prämien, die Unterstützung vom Ausrüster und Preisgelder dazu Denn außer meinen eigenen Social-Media-Kanälen habe ich ja keine große Werbeplattform. Es gibt für Speerwerfer nicht so easy-peasy mal Angebote für Fernsehwerbung. Und wenn ich mal im Fernsehen bin, dann vielleicht in’ner Show. Ansonsten aber ist es schwierig.
Und wie sieht ein typischer Johannes-Vetter-Arbeitstag aus? Zwei Stunden Training, dann je zwei Stunden für Sponsoren, Social Media und Fan-Post sowie für Doping-Kontrollen und Bürokratie?
Es ist oft mehr als ein Acht-Stunden-Tag. Jetzt im Winter dauert das Training meist zwei bis vier Stunden täglich, dazu eine Stunde Physio und viele Termine. Und mit Blick auf die Lehrgänge und Wettkämpfe lebe ich sicher 150 Nächte im Jahr in Hotels. Dann ist mein Leben voll auf die sechs Versuche des nächsten Meetings ausgerichtet – und alles andere muss warten.
Apropos Social Media. Fast 100000 Menschen folgen Dir bei Instagram. Wie wichtig ist diese Art der Vermarktung heute – gerade für Sportarten, die im Fernsehen eben nicht die erste Geige spielen?
Es ist immens wichtig! Es ist die einzige Option, wirklich mit Fans in Verbindung zu stehen. Einblicke ins Training, Authentisches aus meinem Alltag: Das gehört für mich mit dazu. Gleichzeitig schafft man sich so natürlich eine Plattform für Sponsoren.
Dann hast Du eigentlich zwei Jobs: Sportler und Social-Media-Artist…
Jein. Bei Social Media lasse ich eigentlich nur meiner Kreativität freien Lauf und orientiere mich jetzt nicht primär an der Followerzahl oder sonstigen Insights. Ob ich jetzt 100 Likes mehr oder weniger kriege, ist mir nicht so wichtig. Und wenn ich mal drei Tage nichts poste, finde ich das auch nicht so schlimm.
Manche Leichtathleten leben und trainieren mittlerweile in den USA, wo der Sport vielleicht eine andere gesellschaftliche Bedeutung hat. Du dagegen lebst und trainierst in Deutschland, zahlst Beiträge an die IHK und quälst dich durch einen nasskalten Winter. Wie siehst Du den Standort Deutschland aus Athletensicht?
Deutschland ist schon ein guter Standort. Dennoch gehen viele Athleten in die USA, weil sie dort von Ausrüstern wie Adidas, Puma oder Nike viel Geld bekommen, um in internationalen Trainingsgruppen zu trainieren, die wiederum von Trainern geleitet werden, die ebenfalls vom Ausrüster bezahlt werden. Für einen Speerwerfer gibt es dennoch kein besseres Land als Deutschland. Das spiegeln unsere Leistungen ja auch wider. Beschweren werde ich mich daher sicher nicht.
Eines Tages wird Dein Körper die Belastungen Deines Sports nicht mehr mitmachen. Was sind Deine Pläne für danach? Trainer wie Boris Obergföll? Wrestler wie Tim Wiese? Sportlehrer am Gymnasium? Oder Schauspieler wie Dwayne Johnson?
Schauspieler wie Dwayne Johnson wäre schon ein Traum. Aber dafür müsste ich noch ein bisschen trainieren, um etwas mehr Masse aufzubauen… Aber ganz ehrlich: Ich weiß es nicht. Vielleicht mach’ ich mich selbstständig, vielleicht gehe ich in die Fitnessbranche und werde Privatcoach. Gibt bestimmt Leute, die so was wollen: ein Training mit ’nem Typen wie mir, mit ein bisschen gesunder, sportlicher Aggressivität und dem Wissen: Das Training darf schon Spaß machen – aber es ist kein Jux.
Ich habe zum Abschluss noch fünf kurze Halbsätze mitgebracht, die Du bitte einfach zu Ende sprichst. Der erste wäre: Mein größter Triumph war, als…
…ich den deutschen Rekord beim Meeting in Chorzow geworfen habe.
Meine schlimmste Niederlage…
…waren ganz sicher die Jahre 2018 und 2019. Erst die Verletzung, dann aber vor allem der Verlust von Mama. Eine schwere Zeit.
Die 100 Meter werfe ich…
…wenn alles passt. Kann sein, dass es passiert, vielleicht aber auch nicht. Das lasse ich auf mich zukommen…
Als Speerwerfer wird man Millionär …
…wenn man coole Sponsoren hat, die einem den Rücken stärken. Glücklicherweise habe ich schon ein paar, die mich unterstützen.
Glück ist für mich…
…wenn ich nach dem Sport meiner Familie alles bieten kann, was es für ein zufriedenes Familienleben so braucht. Das wäre für mich schon Glück genug.
Ein Interview von Ulf Tietge, Foto: Dimitri Dell