Mit Google als Partner vom Dienstwagen-Verkäufer zu Deutschlands größtem E-Bike-Händler mit 50 Millionen Euro Umsatz: die bemerkenswerte Geschichte des Gengenbachers Peter Litterst
Deutschlands erfolgreichster Fahrradhändler sitzt nicht in München, Berlin oder Hamburg – sondern im Kinzigtal. Genauer: im beschaulichen Gengenbach. E-Bikes, Rennräder und Mountainbikes im Wert von mehr als 50 Millionen Euro hat Link Rad Quadrat im Jahr 2020 verkauft – und selbst wenn die Gengenbacher nun wirklich ein fahrradaffines Völkchen sind: So viele Räder kann man vor Ort nicht absetzen. „Das Geheimnis ist unser Onlineshop“, sagt Geschäftsführer Peter Litterst und balanciert zwei Tassen Kaffee aus der Siebträgermaschine am Tischkicker vorbei. „Wir haben 2014 mit dem Verkauf übers Internet begonnen und nicht darauf gehört, dass damals jeder sagte: ,Fahrräder kann man ohne Beratung gar nicht verkaufen!‘ Oder: ,Man muss doch eine Probefahrt machen – erst recht, wenn man auch noch EBikes verkaufen will!‘ Und dann meinte noch jedermann zu wissen, dass E-Bikes eh nur etwas für ältere Herrschaften seien, die online sowieso nicht zu erreichen wären.“
Was macht man mit ’nem Supermarkt?
Was heute nach großer Vision und ganz viel Weitblick klingt, hat ganz bescheiden angefangen. 2011 saß Peter Litterst noch auf der anderen Seite des großen Parkplatzes rund um das Rad Quadrat. Von dort leitete er das Autohaus Link und bekam irgendwann mit, dass der Lidl seinen erst vier Jahre zuvor erbauten Supermarkt vis-à-vis schon wieder abstoßen wollte. „Für weniger als eine Million“, erzählt Peter Litterst. 6000 Quadratmeter Grundstück, 1400 Quadratmeter unter Dach: Da hab ich natürlich zugegriffen. Platz kann man schließlich immer gebrauchen.“ Und wofür genau? Peter Litterst muss lächeln. „Ich hatte keine Ahnung …“
Autos verkaufen? Dann auf in den wilden Osten!
Rückblende. Deutschland nach dem Mauerfall. Der junge Peter Litterst hat seine kaufmännische Ausbildung bei Opel Linck in Offenburg gerade hinter sich, schon geht es in den wilden Osten. „Bautzen“, sagt Litterst rückblickend. „Für ein Jahr hab ich in einer Jugendherberge gewohnt – und das war nicht einmal das Verrückteste in dieser Zeit.“ Die Adam Opel AG hat Peter Litterst als vorgeschobenen Außenposten ins Land der Trabis und Wartburgs geschickt. Eigentlich soll er Autos verkaufen – tatsächlich aber kann er nur zuteilen. „Wenn nachts die Lkw kamen, warteten schon die Interessenten. Wir haben die Autos verteilt und nicht verkauft. Was aus dem Westen kam, vier Räder hatte und fuhr – das fand auch einen Abnehmer.“ Und doch: Für Peter Litterst ist auch das nur eine Station. „Ich wollte nicht nur Verkäufer sein, sondern noch studieren“, sagt er und schreibt sich – zurück in Offenburg – in der Abendschule ein. Betriebswirtschaft. Mit 23 bringt er es so zum kaufmännischen Leiter bei Opel Linck in Offenburg.
„Davon habe ich mein ganzes Berufsleben lang profitiert“, sagt Litterst heute. „Dass ich den Vertrieb und die Verwaltung von der Pike auf gelernt habe – und damit einer der wenigen bin, der beide Welten versteht.“ 2008 geht es über Kehl nach Gengenbach. Von Linck zu Link. Von Opel zu Audi. Und es geht weiter bergauf, denn Litterst hat eine neue Nische gefunden. Er kauft dem VW-Konzern im großen Stil Dienstwagen ab. Nicht 50 oder 100, sondern gleich ein paar Tausend. Rund 20 000 waren es im besten Jahr. „Schnell waren wir der größte Dienstwagenhändler im ganzen Konzern“, sagt Litterst. Kaufen und verchecken. Europaweit. Das Geschäft brummt. Denn wer gibt sich mit fünf oder zehn Prozent Nachlass auf den Listenpreis zufrieden, wenn ein Jahreswagen bis zu 50 Prozent günstiger ist?
Bescheiden bleiben? Es zahlt sich aus!
Am Ende baut Peter Litterst in Gengenbach sein eigenes Autohaus. Nicht so superluxuriös wie es die hohen Herren in Ingolstadt oder Wolfsburg gern sehen würden – aber im Nachhinein ist genau diese Bodenständigkeit ein Glück. Denn die goldenen Zeiten der Branche: Ende der 2000er neigen
sie sich bereits dem Ende entgegen. „Um die Jahrtausendwende konnten Autohäuser gar nicht groß genug sein. Heu-te arbeitet jeder Vertrieb defizitär und nur die Werkstätten verdienen noch Geld.“
Eine tote Branche? Nicht ganz!
Ganz anders dagegen die Situation in der Fahrradbranche. In den 2000er Jahren waren Fahrräder so sexy wie Pickel am Po. „Eine tote Branche“, sagt Peter Litterst. „Aber ich bin halt gern geradelt. Also hab ich ein paar Rennräder und Mountainbikes in den alten Supermarkt gestellt und auf Kundschaft gewartet.“ Die kam auch. Aber eher spärlich. „2012 kamen dann die ersten E-Bikes auf den Markt und ich war mir sicher: Das machst du nicht! Das sind keine richtigen Räder. Ein paar habe ich dann doch in den Laden gestellt, um zu gucken, wie die Menschen darauf reagieren“, erinnert sich Litterst. „Und plötzlich ging es ab! Die E-Bikes waren so schnell ausverkauft – unfassbar.“ Also nachbestellen. Dann noch mal. Wieder ist es wie damals in Bautzen. Es geht nicht ums Verkaufen, sondern ums Zuteilen. 2014 dann der nächste große Step. Online-Vertrieb. Mal ausprobieren. „Anfangs haben wir die Räder bei Ebay reingestellt und gehofft, dass die Leute zu uns kommen, um direkt im Laden zu kaufen“, sagt Litterst und schmunzelt. Hat nicht ganz so funktioniert, im Prinzip aber doch. Ein Jahr später entsteht die Eigenmarke Liq-Bikes. Ein Private-Label-Ansatz, für den ein Hersteller aus Cloppenburg E-Bikes nach den Vorgaben der Schwarzwälder baut. Exklusiv und mit Bosch- Motoren. Nach 400 Rädern in 2011 sind es 2014 schon 3000. Und ein Jahr später setzt das Team 9000 Räder ab. 2021 dürften es wieder um die 30 000 werden …
Nicht stehen bleiben! Nie!
Sieben Jahre und fünf Shop-Generationen hat es dafür gebraucht. Außerdem ein bisschen Mut und die Bereitschaft, neue Wege zu gehen. „Wir haben 2015 mit Google Adwords begonnen – und das war der entscheidende Boost-Faktor“, sagt Litterst. „Heute sind wir als First Mover direkt bei Google in Dublin angesiedelt, dürfen Beta-Test-Software ausprobieren und arbeiten derzeit mit 8000 verschiedenen Kampagnen.“ Jeden Morgen werden die Kampagnen überprüft. Was liefert gute Conversions? Zu welchen Preisen werden welche Keywords gehandelt? Wie entwickeln sich die Lookalike- und die Remarketing-Kampagnen? „Das ist wie an der Börse“, sagt Litterst. „Was gestern richtig war, muss heute vielleicht schon wieder abgestoßen werden. Das Keyword E-Bike zum Beispiel: Damit arbeiten wir schon lange nicht mehr! Viel zu teuer!“ Der Erfolg der Online-Kampagnen bemisst sich nach Aufwand und Conversions. Was kostet ein Klick? Wie viele Klicks braucht es bei welcher Kampagne, bis ein weiteres Fahrrad verkauft ist? „Anfangs habe ich mich darum selbst gekümmert“, sagt Litterst. „Ich weiß noch: Ich saß daheim auf dem Sofa, hab die erste Kampagne mit ,Fahrrad‘ eingerichtet, 200 Euro Budget eingegeben und mir in der Küche etwas zu trinken geholt. Als ich wieder kam, war das Geld weg. Buff!“ Verkauft hat diese erste Kampagne nichts. Aber sie hat bewiesen, wie viele Kunden da draußen nach E-Bikes suchen. Also blieb Litterst am Ball. Heute generiert das Team mit zwei SEM-Experten im Haus und einer hochspezialisierten SEM-Agentur aus Frankfurt den Großteil seiner Umsätze mithilfe von Google. „Im Gegenzug überweisen wir aktuell 1,2 Millionen Euro an Google“, sagt Peter Litterst. „Jedes Jahr.“
Eigentlich kann das Jeder?
Angst vor Nachahmern unddas jeder? weiteren Trittbrettfahrern haben die Gengenbacher nicht. „Google Business kann jeder bedienen“, sagt Litterst. „Gleichzeitig aber ist das System inzwischen sehr komplex und es gibt so viele Wechselwirkungen zwischen Content und Preispolitik und Einkauf: Ich glaube, dass wir noch einige gute Jahre vor uns haben.“ Das übrigens ist nicht einfach nur dahingesagt. Sein Autohaus hat Peter Litterst Ende 2020 endgültig verkauft. Zwei Räder haben offenbar mehr Zukunft als vier …
Ein Bericht von Ulf Tietge - Foto: Jan Reiff