Die Corona-Krise ist für viele Arbeitgeber die größte Herausforderung aller Zeiten. Die Lahrer Rechtsanwälte Dr. Stefan Krauss und Dr. Frank Wertheimer von KRAUSS LAW beantworten daher die wichtigsten Arbeitsrechtsfragen vieler Unternehmer
Was genau müssen Unternehmer nach dem Infektionsschutzgesetz beachten? Auch in Zeiten von Kontaktverbot und Ausgangssperre darf in den meisten Betrieben ja gearbeitet werden … Dr. Wertheimer: Das Infektionsschutzgesetz richtet sich nicht primär an Unternehmen, hinsichtlich der Meldepflichten von Infektionskrankheiten sind in erster Linie Ärzte und Krankenhäuser gefragt. Unternehmer tragen als Arbeitgeber gegenüber ihren Beschäftigten aber eine Fürsorgepflicht. Diese verpflichtet sie, Maßnahmen zu treffen, um Erkrankungen im Unternehmen zu vermeiden. Aktuell geht es zum Beispiel darum, für ausreichenden Abstand zwischen den Beschäftigten zu sorgen, auf die Einhaltung von Hygienevorschriften zu achten oder Schutzkleidung bereitzustellen.
Ganz wichtig dürfte auch ein Notfallplan mit Vertretungsrechten sein – etwa gegenüber der Bank, beim Abschluss von Rechtsgeschäften oder in Personalangelegenheiten. In vielen Betrieben gibt es nur einen Geschäftsführer und nicht einmal Prokuristen …
Dr. KRAUSS: Das dürfte kein Problem darstellen, Vollmachten können jederzeit, auch privatschriftlich, beispielsweise an einen vertrauenswürdigen Mitarbeiter erteilt werden. Derartige Regelungen haben die allermeisten Unternehmen ganz unabhängig von der aktuellen Krise in der Schublade.
In vielen Unternehmen ist die Solidarität innerhalb der Belegschaft groß. Gemeinsam überlegt man, was man tun kann, um der Krise zu trotzen. Eine Idee: die Stundung von Lohn. Geht so was?
Dr. KRAUSS: Mit einer Stundung von Lohn dürfte niemandem geholfen sein. Die Beschäftigten würden aktuell kein Geld bekommen, obwohl sie gearbeitet haben. Der Arbeitgeber schuldet trotzdem die Sozialversicherungsbeiträge und muss den Lohn später nachzahlen. Einziger Effekt wäre eine Schonung der Liquidität.
Könnten Unternehmer und Beschäftigte sich auch auf einen Gehaltsverzicht zur Krisenbewältigung einigen? Man kennt so etwas sonst ja nur von Sanierungstarifverträgen …
Dr. KRAUSS: Ein Gehaltsverzicht ist möglich, muss aber einzelvertraglich zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbart werden. Sofern ein Tarifvertrag besteht, der für beide Arbeitsvertragsparteien zwingend gilt, ist ein Verzicht nur möglich, wenn die Tarifvertragsparteien, also Arbeitgeber(verband) und Gewerkschaft, dies gestatten. Diese Erlaubnis ist nicht notwendig, wenn im Arbeitsvertrag nur auf einen Tarifvertrag Bezug genommen wird. Im Zweifel sollte der Arbeitgeber kompetenten Rechtsrat einholen.
Wenn die Belegschaft in Kurzarbeit ist: Kann ich trotzdem neue Mitarbeiter einstellen?
Dr. WERTHEIMER: Grundsätzlich geht das. Das Unternehmen hat aber darauf zu achten, dass durch die Neueinstellung die Voraussetzungen für die Genehmigung von Kurzarbeit nicht unterschritten werden. Aktuell liegt die Grenze bei 10 Prozent Arbeitsausfall für 10 Prozent der Beschäftigten.
Können trotz Kurzarbeit auch neue Stellen ausgeschrieben oder neue Auszubildende für den Herbst gesucht werden?
Dr. KRAUSS: Unbedingt, qualifizierte Mitarbeiter und motivierte Auszubildende werden auch in Zukunft gebraucht! Unternehmer denken heute schon an die Zeit nach der Krise.
Für Azubis kann man keine Kurzarbeit beantragen. Aber wie verhält man sich da als Arbeitgeber? Eine Ausbildung im Homeoffice ist in vielen Bereichen ja nicht möglich …
Dr. KRAUSS: … in manchen aber durchaus schon. Das hängt von den Umständen im Unternehmen ab. Die Berufsschulen sind derzeit ja wie alle anderen Schulen geschlossen. Ausbildung findet daher vollumfänglich im Betrieb statt.
Wie flexibel kann man den Grad der Kurzarbeit bestimmen? Nur monatsweise? Gerade in Zeiten wie diesen muss man ja mitunter viel schneller reagieren, weil sich die Lage von Woche zu Woche dramatisch ändern kann …
Dr. Wertheimer: Bei Kurzarbeit geht es einerseits darum, den Arbeitsausfall so gering wie möglich zu halten und andererseits dafür zu sorgen, dass der Entgeltausfall des Arbeitnehmers möglichst klein bleibt. Dies erlaubt eine flexible Handhabung auch innerhalb eines Monats. Es muss aber sichergestellt sein, dass die Voraussetzungen für die Einführung von Kurzarbeit beachtet bleiben.
Was muss ich als Arbeitgeber in Sachen Kurzarbeit beachten? Müssen Mitarbeiter oder Betriebsrat der Einführung zustimmen?
Dr. KRAUSS: Auch hier gilt, dass einseitige Anordnungen rechtlich nicht möglich sind. Besteht ein Betriebsrat, muss eine Betriebsvereinbarung über die Einführung von Kurzarbeit abgeschlossen werden. Existiert kein Betriebsrat, muss der Mitarbeiter einverstanden sein. Ohne derartige Vereinbarungen gewährt die Agentur für Arbeit auch kein Kurzarbeitergeld.
Kann ich wählen, ob ich Kurzarbeit für alle gleich oder individuell unterschiedlich einführe? Kann ja sein, dass eine Abteilung unter Volllast schafft – und bei einer anderen nichts mehr zu tun ist …
Dr. KRAUSS: Ja, das geht. Im betriebsratslosen Betrieb gilt das oben ausgeführte. In Betrieben mit Betriebsrat muss dies mit dem Betriebsrat abgestimmt werden.
Um KuG zu beziehen muss zunächst alter Urlaub aufgebraucht sein. Kann ich als Arbeitgeber Urlaub einfach anordnen? Oder muss der Mitarbeiter den Urlaub nehmen wollen?
Dr. WERTHEIMER: Unkritisch ist der sogenannte alte Urlaub aus dem Vorjahr: Dieser muss ohnehin spätestens bis zum 31. März abgebaut sein, sonst verfällt er. Im laufenden Jahr 2020 sind die Voraussetzungen gerade geändert worden. „Neuer“ Urlaub muss nun nicht mehr anteilig eingebracht oder aufgebraucht werden.
Dr. KRAUSS: Grundsätzlich noch etwas zum Urlaub: Dieser wird vom Arbeitgeber gewährt, wobei er berechtigte Belange und Urlaubswünsche des Arbeitnehmers zu beachten hat.
Muss der Arbeitgeber Entgeltfortzahlung leisten, wenn der Arbeitnehmer in freiwilliger häuslicher Quarantäne ist, etwa weil er in Ischgl beim Skifahren war?
Dr. WERTHEIMER: Entgeltfortzahlung wird dann geschuldet, wenn der Arbeitnehmer wegen Krankheit arbeitsunfähig ist. Quarantäne aber ist keine Krankheit – anders als wenn er sich beim Skifahren das Bein gebrochen hätte.
Müssen Mitarbeiter trotz Angst vor Ansteckung zur Arbeit kommen?
Dr. WERTHEIMER: Sicher nicht. Wer nicht kommen möchte, sollte Urlaub beantragen oder Zeitguthaben abbauen. Ohne Zustimmung des Arbeitgebers darf kein Mitarbeiter zu Hause bleiben. Individuelle Absprachen zwischen den Arbeitsvertragsparteien sind aber natürlich immer möglich.
Umfasst das Direktionsrecht die Möglichkeit, Mitarbeiter flexibel ins Homeoffice oder in den Betrieb zu beordern? Oder muss man als Arbeitgeber bestimmte Einschränkungen beachten?
Dr. KRAUSS: Das Arbeitsrecht wird durch die Corona-Krise nicht außer Kraft gesetzt. Homeoffice kann nur der Mitarbeiter einfordern, mit dem es im Arbeitsvertrag vereinbart ist. Umgekehrt kann auch der Arbeitgeber nicht ohne weiteres eine Homeoffice-Tätigkeit anweisen.
Dr. Wertheimer: Die Corona-Krise zeigt, wie wichtig es ist, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer mit besonderen Situationen vernünftig umgehen und solche Maßnahmen gemeinsam regeln. Wir hören hier jeden Tag von tollen und kreativen Lösungen.
Arbeitgeber müssen zahlreiche Rechtsvorschriften bei der Beschäftigung ihrer Mitarbeiter beachten. Das Arbeitszeitgesetz, Vorgaben zur
Arbeitsplatzbeschaffenheit und vieles weitere. Gelten all diese Vorschriften auch in Zeiten von Corona? Und muss ich sicherstellen, dass Mitarbeiter im Homeoffice sich auch tatsächlich an alle Vorschriften halten?
Dr. KRAUSS: Das Arbeitszeitgesetz enthält für außergewöhnliche Fälle, wie die derzeit erlebte Corona-Krise, Ausnahmeregelungen. Diese können jetzt genutzt werden. Das betrifft insbesondere die tägliche Höchstarbeitszeit und das Einhalten von Ruhezeiten.
Wie steht es um Datenschutz und IT-Sicherheit, wenn die Mitarbeiter vom heimischen Schreibtisch aus arbeiten? Die wenigsten Homeoffice-Arbeitsplätze dürften mit Firewalls und umfassenden Sicherheitskonzepten ausgestattet sein.
Dr. WERTHEIMER: Es wird keinen Unterschied machen, ob der Arbeitnehmer sich von seinem PC im Betrieb oder von zu Hause in das Firmennetzwerk einloggt. Eine wirksame Firewall muss freilich der Arbeitgeber vorhalten. Die Datenschutzvorschriften gelten unabhängig vom Ort, an dem gearbeitet wird – also auch im Homeoffice.
Ein Interview von Ulf Tietge, Foto, Michael Bode