Von New York bis in die Ortenau sind es satte 6200 Kilometer Luftlinie. Das ist rein geografisch betrachtet schon mal ’ne Hausnummer. Doch noch weiter dürfte man in puncto Mentalität auseinanderliegen. Erst recht, wenn man’s noch ein bisschen genauer verortet: zum Beispiel nach Manhattan und nach Ulm, dem kleinen Ortsteil von Renchen. Katharina Scheer kennt diese beiden Welten. Und am Ende hat sich die Brauerei-Chefin, Deutschlands jüngste übrigens, für die wesentlich beschaulichere entschieden – für das 2000 Seelen-Örtchen, in dem ihre Familie bereits seit fast 170 Jahren ihr Bier braut. Dabei hätte die heute 27-Jährige auch ein umjubelter Broadway-
Star werden können … Wenn Katharina Scheer in ihrem Ulmer Büro die Geschichte ihrer New-York-Episode erzählt, klingt sie besonders abstrakt. Erst recht, wenn bei geöffneten Fenstern gegenüber die Dorfkirche ihre Glocken läutet und unten auf dem Hof der Familienbrauerei Bauhöfer ein paar Elektrostapler gemächlichüber den Hof surren. Während ihrer Tanzausbildung in Freiburg wurde sie für das Hamburger Ballett entdeckt. In der Hansestadt wurden schließlich Talentscouts aus den USA auf die gebürtige Offenburgerin aufmerksam. Und plötzlich war Katharina Scheer von heute auf morgen Teil einer Muscial-Crew am Broadway, durfte jeden Tag auf die Bühne und musste sich dafür drei Stunden schminken lassen. 2016 war das. Und schnell wurde der jungen Frau klar: Das ist eine ganze andere Welt, als sie es sich bisher vorgestellt hatte. Die Ellenbogenkämpfe drumherum, die schlechte Bezahlung, das Heimweh: „Das war einfach nicht meins, das wurde mir klar“, erzählt Katharina Scheer. Dafür wurde ihr bewusst, was sie eigentlich wollte: Familie. Heimat. Kurzum: die Familienbrauerei zu Hause in eine gute Zukunft führen. In fünfter Generation …
Von der Bühne auf den Chefsessel: Von jetzt auf gleich ging das natürlich nicht. Auch wenn Scheer als Kind und Jugendliche immer nah an der Brauerei dran war. Mit Opa Eugen Bauhöfer durfte die kleine Katharina immer mal wieder auch zu Kundenterminen mit. Wenn denn Zeit war, und Enkelin und Großvater nicht gerade zusammen meterlange Bierdeckelbahnen bauten. Um eine Brauerei mit rund 30 Mitarbeitern und einer Brauleistung von 50 000 Hektolitern zu leiten, brauchte es aber noch ein bisschen mehr. „Das war mir bewusst“, sagt die Brauerei-Chefin, die bereits vor ihrer Zeit in New York ein duales Betriebswirtschafts- Studium in Schwenningen absolviert hatte.
Erst mal frech die Marke ändern …
Zu Hause kamen die Ballettschläppchen also erst mal an den Haken. Stattdessen schnappte sich Katharina den Laptop und ging an den Chiemsee ins Hofbräuhaus Traunstein. Dann weiter zu Dinkelacker nach Stuttgart – wie Bauhöfer eine Familienbrauerei, wenn auch deutlich größer – und zu guter Letzt in eine Werbeagentur. Erfahrungen und Ideen sammeln. Schauen, wie es andere machen. Und überlegen, ob das auch zu Hause in Ulm Sinn machen könnte. 2019 kam Katharina Scheer schließlich zurück. 25 Jahre alt und zunächst mit viel gesundem Respekt. Ist sie der Herausforderung bereits gewachsen? Wie wird die Belegschaft reagieren? „Manche Mitarbeiter kannten mich ja noch als Baby, die haben mich hier früher zwischen den Bierkisten herumgetragen“, sagt die Chefin und lacht. Aber vielleicht war gerade das der Grund, warum von Anfang an alles gleich so passte, als wäre schon immer klar gewesen, dass es eines Tages in der Familienbrauerei genau so kommen würde. „Ich wurde toll aufgenommen und von meinem Vorgänger Siegbert Meier sehr gut eingearbeitet“, sagt Katharina Scheer. Meier hatte zuvor fast 20 Jahre die Geschäfte geleitet und blieb der Brauerei in beratender Funktion erhalten. Seit 1. Januar 2020 ist Katharina nun kaufmännische Geschäftsführerin – und legte direkt mächtig los. Eine ihrer ersten Amtshandlungen hat es gleich in sich: Es gibt nicht nur neue, schmucke Etiketten, sondern auch direkt einen neuen Markennamen. Aus Ulmer Bier wird Bauhöfer – ein mutiger Schritt. „Wir sind eine Familienbrauerei, das dürfen wir auch gern im Namen tragen“, sagt Katharina Scheer dazu. Zudem sei es für die Ulmer schon immer blöd gewesen, außerhalb der direkten Umgebung erklären zu müssen, dass ihr Bier eben nicht aus der großen schwäbischen Domstadt komme, sondern aus Renchen Ulm in der Ortenau. Vorgänger Siegbert Meier hatte zu diesem Thema mit dem hellen Lager, das 2016 als „Bauhöfer’s Schwarzwaldmarie“ in den Handel kam, bereits die Richtung vorgegeben – mit dem Rückhalt der Familie. Und trotzdem: Die Kernmarke gleich mal komplett umzustellen, ist eine Entscheidung mit Tragweite. Schließlich muss das am Ende die Kundschaft nicht nur mitkriegen, sondern auch gutheißen. Die praktische Umstellung hat dann auch ihre ganz eigenen Tücken. Neue Bierdeckel und -kisten, neue Etiketten, neues Marketing. Dazu prangt das Ulmer-Logo bald an jeder zweiten Wirtschaft rund um Oberkirch und Appenweier. „Gut, dass mir am Anfang noch nicht so klar war, was da alles dahintersteckt. Sonst hätte ich’s vielleicht nicht als Allererstes gemacht“, sagt Katharina Scheer und schmunzelt.
Doch der Markenwechsel klappt. Das Feedback von Handel und Kundschaft ist fast durchweg positiv. Glaubwürdig ist das neue Image der Familienbrauerei ohnehin, das wissen die Menschen in Ulm und Umgebung natürlich. Man kennt sich ja in der Ortenau. Die Belegschaft stand bei dem Manöver ohnehin sofort hinter der neuen Chefin. Die Entscheidung fiel Katharina Scheer am Ende schließlich auch nicht allein. „In so einem kleinen Unternehmen müssen wir das, was wir machen, ja alle gut finden“, sagt sie. Zumal die Bauhöfer-Enkelin auch nicht als alleinige Geschäftsführerin die Geschicke des Familienbetriebs leitet. Ihre Großcousine Elisabeth Bauhöfer kümmert sich ums Qualitätsmanagement, Elisabeths Mann Alexander Schneider steht als Braumeister am Kessel – und beide sind seit Jahren im Betrieb. „Wir bringen uns alle ein, keine Frage. Aber am Ende muss dann halt jemand die Entscheidung treffen und umsetzen“, sagt die junge Brauerei Chefin. Und Katharina Scheer hat natürlich noch viel mehr Ideen im Kopf. So viele, dass sie ihre Mitarbeiter ab und an auch mal bremsen müssen. Veränderungen? Ja, gern. Aber bitte nicht alles auf einmal. „Das weiß ich natürlich auch, aber manchmal fällt mir das echt schwer“, sagt sie.
Verlässlich gutes Bier
In puncto Sortiment und Qualität soll indes erst mal alles beim Alten bleiben. Seit Kurzem gibt’s ein Naturradler samt Alkoholfrei-Version von Bauhöfer, weil das inzwischen eben fast schon zum Standardsortiment einer Brauerei zu gehören hat, aber viel mehr sei derzeit nicht geplant. Auch die Craft-Beer-Welle mit ihren intensiven Aromen und schrillen Etiketten sind in Ulm kein Thema. „Dieser Trend hat der Branche sicherlich gut getan, zu uns passt er aber nicht“, sagt die junge Chefin. Denn bei aller Erneuerung: Altbewährtes muss ja auch nicht immer schlecht sein. „Wir sind als Brauerei ja auch deshalb groß geworden, weil wir offensichtlich über Jahrzehnte hinweg verlässlich gutes Bier gemacht haben“, sagt Katharina Scheer. Und das solle auch bitte schön in fünfter Generation so bleiben …
Ein Beitrag von Stephan Fuhrer - Fotos: Familienbrauerei Bauhöfer