In Bruchsal entsteht so etwas wie eine fliegende Version von Tesla und kaum jemand nimmt davon Notiz. Ist es zu schwer vorstellbar, dass wir künftig mit Flugtaxis einfach über den Dingen schweben?
Der Countdown läuft. Noch zwei Jahre bis zur Eröffnung der Olympischen Sommerspiele in Paris. Für den badischen Unternehmer Stefan Klocke und die Volocopter GmbH geht es dort nicht um Medaillen, sondern um etwas viel Wichtigeres: ums Dabeisein! Ach ja, und um ein Milliarden-Geschäft. Denn die elektrischen Flugtaxis sollen unter den Augen der Welt die Sportler zu den Wettkampfstätten bringen und danach die Bruchsaler Firma an die Börse. Es geht darum, die ganze Welt zum Abheben zu bringen. Fliegende Taxis mit Akkus im Heck – in ein paar Jahren vielleicht schon so selbstverständlich wie heute Autos mit Elektromotor?
Badische Pionierleistung
Während in Paris, Singapur und Rom bereits an den ersten sechs Voloports gebaut wird, schaut Chairman Stefan Klocke vom Konferenzraum „Oehmichen“ (nach Étienne Oehmichen, Frankreichs Hubschrauber- Pionier) in Richtung Flugplatz. Ein paar Modelle aus dem 3D-Drucker stehen vor den Fenstern, auf dem Bildschirm läuft ein am Computer animiertes Video, an der Wand hängt ein Rendering, ansonsten ist es hier so nüchtern-minimalistisch wie beim Wirtschaftsprüfer oder einem x-beliebigen Software-Start-up. Einen Kicker hat’s – aber eben keine Top-Gun-Poster, keine Lederhelme auf den Sideboards und auch sonst nichts, was an Luftfahrt denken ließe. Keine einfache Aufgabe für unseren Fotografen …
Gut zehn Jahre sind bei Volocopter seit dem Erstflug mit Gymnastikball und selbst gebautem Rotorgestänge vergangen. Aus drei Verrückten wurden mehr als 500 fest angestellte Mitarbeiter. Aus der Leidenschaft junger Ingenieure hat sich eine Milliarden- Industrie entwickelt. „Das hätten wir uns am Anfang nie träumen lassen“, sagt Stefan Klocke und man denkt: „Der Mann ist irgendwie auf dem Boden geblieben, oder?“ „Nicht nur irgendwie“, fügt er mit einem Blitzen in den Augen an. „Ich durfte tatsächlich noch nie mitfliegen! Noch ist das nur EASA-zertifizierten Testpiloten gestattet, auch wenn die inzwischen alle sagen: Das sind die langweiligsten Erprobungsflüge, die sie je gemacht haben.“
Auf der Jagd nach der Zulassung
Diese deutsche Gründlichkeit und der Respekt vor den Behörden haben einen guten Grund. Was Wolfsburg mit dem Käfer für die Automobilwelt mal war, soll nun Bruchsal mit dem Volocopter werden. Doch dafür braucht es eben alle notwendigen luftfahrtrechtlichen Genehmigungen. Dafür spielt es keine Rolle, ob die elektrischen Drehflügler nun sicher, leise und zuverlässig fliegen (was sie tun), sondern ob sie fliegen dürfen. Für Klocke ist das nichts Neues. Er kommt ursprünglich aus der Pharmabranche. „Da ist es genauso. Wer eine Zulassung hat, der hat auch ein Produkt. Wer nicht, der hat gar nichts.“ Volocopter ist mit dem Traum vom neuen Fliegen nicht allein. Es gibt Wettbewerber, einige auch schon mit einer Bruchlandung an der Börse. Und doch gelten die Badener als weltweite Nummer 1. Starke Partner im Gesellschafterkreis, – denn in Bruchsal baut und entwickelt man nicht nur Fluggeräte, sondern gleich noch die Software (VoloIQ) und das Geschäftsmodell für den Betrieb der Flugtaxis. Wenn man so will: als würde man Tesla und Uber kombinieren. Vor allem die Software ist interessant: Von der Buchung eines Flugs durch den Fluggast über die Bereitstellung der Maschine, die Wahl der Route, die Überwachung der Flugsicherheit bis zur Abrechnung des Flugs: alles nahtlos integriert.
Eine Alternative im City-Verkehr
Ansonsten sind die technischen Fakten der Flugtaxis schnell erzählt: Zwei Modelle hat Volocopter am Flugplatz Lahr in unscheinbaren Hangars versteckt. Den VoloDrone für Pakete und den VoloCity als fliegenden Stadtflitzer mit Platz für zwei Personen, einer Reichweite von derzeit 35, geplant aber 65 Kilometern und 90 km/h. Wichtiger als das Tempo: Mit nur 65 Dezibel ist der Multikopter etwa so laut wie ein Staubsauger und damit – anders als etwa Hubschrauber mit ihrem infernalischen Geknattere – wirklich innenstadtgeeignet. „Das ist wirklich die Alternative zum Taxi“, sagt Stefan Klocke. „Um in New York von Manhattan zum Flughafen zu kommen, zahlt man 90 bis 120 Dollar für eine Taxifahrt. Mit dem Volocopter wird die Fahrt 170 bis 190 Dollar kosten, mit einem Hubschrauber 300 bis 500 Dollar.“ Leistbar für nahezu jedermann. Das erst macht den Volocopter aus wirtschaftlicher Sicht so interessant.
Fast wie ein Flugzeug: der Voloconnect
Für größere Strecken und mehr Tempo gibt es den VoloConnect, eine Mischung aus Flugzeug und Multikopter. Bis zu 250 Klamotten schnell, genug Platz für vier Personen und mit heutiger Akku-Technologie mit einer Reichweite von 100 bis 180 Kilometern ausgestattet. Das reicht, um von Karlsruhe nach Stuttgart zu kommen, von Bruchsal nach Frankfurt und das Ganze garantiert ohne Stau. Auch der ADAC habe großes Interesse am VoloConnect, beispielsweise um damit Notärzte schnell zu Unfällen zu bringen. Günstiger als ein Hubschrauber, mindestens genauso sicher, deutlich besser für die Umwelt und dank Wechsel-Akku auch nicht ständig an ein Ladekabel gefesselt: Es gibt viele gute Argumente für die Multikopter. „Alles steht und fällt mit der Zulassung durch die EASA“, sagt Klocke und holt uns zurück ins Hier und Jetzt. „Die vorläufige Verkehrszulassung haben wir seit 2016. Damit waren wir weltweit die Ersten. Aber die große kommerzielle Freigabe für Europa und die USA dürfte noch bis 2024 auf sich warten lassen.“ Bis dahin gibt es nur Demonstrationsflüge. Mal in Singapur über die Bay, dann in Paris über die Messe oder in Dubai während der Expo. Dass Saudi-Arabien bereits zehn Maschinen für die geplante Stadt Neom geordert hat – schЪn, aber nur eine Randnotiz.
Flugtaxis für alle statt Luxus für wenige
Mit Klocke, selbst Hubschrauber-Pilot, Gesellschafter und Vorsitzender des mächtigen Beirats, hat Volocopter sein Geschäftsmodell komplett neu gedacht. Die erste Idee waren Ultraleichtfluggeräte für private Piloten. Ziemlich kostspielig, kleine Zielgruppe. Seit 2017 geht es um feste Taxirouten. Man kauft den Volocopter nicht, man steigt einfach ein und hebt ab. Geringer Einstiegspreis, riesige Zielgruppe. Ob das Lufttaxi mit oder ohne Pilot autonom fliegt, macht technisch für Volocopter kaum einen Unterschied.
„Asien wird unser wichtigster Markt“, sagt Klocke. Das ganz große interne Ziel, die „Mission to Moon“, ist dabei ehrgeizig formuliert. „100 000 Fluggeräte. Bis 2035. Da sind wir noch nicht, aber wir sind sicher, dass wir das packen.“ Gelingen soll das durch die Zusammenarbeit mit Daimler oder mit Geely, dem Partner aus China. Denn während die Prototypen und die ersten Kleinserien mit bis zu 1000 Stück wohl im Badischen montiert werden – die großen Werke werden auch in China entstehen. „Geely eröffnet uns großartige Möglichkeiten“, sagt Klocke. „Man schaue sich nur an, was die aus der Marke Volvo gemacht haben! Für uns ein bestmöglicher Partner!“
Kostspielige Entwicklung
Damit wären wir bei Finanzen. Großes Thema. Denn natürlich gibt es bei Volocopter noch keine nennenswerten Umsätze, wohl aber erhebliche Kosten und große Hoffnungen. Aktuell ist die Firma mit 1,6 Milliarden Euro bewertet. Über diverse Finanzierungsrunden (siehe Kasten) sind bisher rund 500 Millionen Euro zusammengekommen, bis 2024 sollen es weitere 500 Millionen werden. Dafür gibt es ab September mit Dirk Hoke einen neuen CEO und Geschäftsführer – und das mit einschlägiger Vita. Hoke war zuletzt Chef der Rüstungs- und Raumfahrtsparte von Airbus. Ein Überflieger, wenn man so will. „Um ehrlich zu sein: Wir sind gottfroh, dass wir den SPAC-Weg nicht gegangen sind“, sagt Klocke. SPAC ist die Abkürzung für Single Purpose Acquisition Company und bezeichnet im Grunde leere, aber an der Börse notierte Aktiengesellschaften. Eine Art Abkürzung zu klassischem IPO oder Direct Listing – aber nicht ungefährlich, wie der Blick auf die Wettbewerber von Volocopter zeigt. Das deutsche Start-up Lilium oder das US-Unternehmen Joby Aviation sind 2021 per SPAC an die US-Börse gegangen, dort jedoch stark unter Druck geraten. Die Aktien von Lilium sind um fast 70 Prozent eingebrochen, die von Joby um rund 50 Prozent.
Der Zauber von Paris
Damit Volocopter nicht ähnlich unsanft landet, setzen Klocke und seine Mitstreiter auf den Zauber von Paris. Mit den Bildern von den Olympischen Spielen an die Börse: Das wКr schon was. Denn langfristig führt am Weg aufs Parkett wohl kein Weg vorbei. Klocke: „Es ist schwer, jemanden zu finden, der ganz allein mal zwei Milliarden Euro auf den Tisch legt.“ Aber genau darum geht es: um den Aufbau eines Milliarden-Konzerns, um einen neuen Weltmarktführer aus Baden-Württemberg. Den Vorsprung nutzen, den man nach sieben Jahren Flugtauglichkeit (noch) hat. Noch einmal Klocke. „Irgendein FluggerКt zusammenzimmern – das kriegen Studierende mit einem guten Professor überall auf der Welt hin. Aber dass dieses FluggerКt mit einer Sicherheit von zehn hoch neun auf dem gleichen Niveau wie konventionelle Linienflugzeuge unterwegs ist und weltweit eingesetzt werden kann: Das ist die Kunst.“
Ein Beitrag von Ulf Tietge