Was kommt Neues im Arbeitsrecht? Rechtsanwalt Dr. Frank Wertheimer erklärt, was sich Sozialdemokraten, Bündnisgrüne und Liberale im Koalitionsvertrag vorgenommen haben
Unter dem Motto „Mehr Fortschritt wagen“ hat die Ampelkoalition Anfang Dezember 2021 ihr Regierungsprogramm für die laufende Legislaturperiode vorgestellt. Die Ereignisse um den seit Ende Februar 2022 herrschenden Krieg in der Ukraine haben vieles in den Hintergrund rücken lassen, auch die Vorhaben der neuen Bundesregierung. Mit einem Blick in das Kapitel IV des Koalitionsvertrages („Respekt, Chancen und soziale Sicherheit in der modernen Arbeitswelt“) wird hier kurz beleuchtet, mit welchen Änderungen im Arbeitsrecht zu rechnen ist.
Im Niedriglohnsektor ist eine Anpassung des Mindestlohns auf 12 Euro pro Stunde vorgesehen. Bereits am 23. Februar hat das Bundeskabinett den Gesetzentwurf zur Erhöhung des Schutzes durch den gesetzlichen Mindestlohn und zu Änderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung beschlossen, die Erhöhung wird zum 1. Oktober 2022 Realität. Nach diesem staatlichen Eingriff soll die weitere Anpassung in Zukunft wieder in den Zuständigkeitsbereich der unabhängigen Mindestlohnkommission zurückfallen. Unberührt hiervon bleibt die zuvor festgelegte Anhebung des Mindestlohns auf 10,45 EUR zum 1.7.2022. Die Erhöhung des Mindestlohns wird ab Oktober 2022 auch zu Anpassungen bei Mini- und Midijobs führen. Während die Entgeltgrenze bei den Minijobs von 450 EUR auf 520 Euro (bei einer möglichen Wochenarbeitszeit von künftig zehn Stunden) ansteigt, erhöht sich die Midijob-Grenze von 1300 auf 1600 Euro monatlich.
Beschränkung bei Mehrfachbefristungen
Bei dem stets virulenten Thema befristeter Arbeitsverträge hält der Koalitionsvertrag fest, dass im öffentlichen Dienst die sog. Haushaltsbefristung abgeschafft werde, beim Bund als Arbeitgeber soll die sachgrundlose Befristung „Schritt für Schritt“ reduziert werden. Mehrfachbefristungen beim selben Arbeitgeber sollen zukünftig auf sechs Jahre beschränkt werden, eine Überschreitung dieser Höchstdauer soll auf eng begrenzte Ausnahmen beschränkt werden.
Hinsichtlich der Arbeitszeit soll am 8-Stunden-Tag festgehalten werden. Arbeitszeitflexibilisierungen, das heißt auch ein Abweichen von der täglichen Höchstarbeitszeit, sollen ermöglicht werden, bleiben aber tarifrechtlichen Regelungen vorbehalten. Durch Betriebsvereinbarungen soll dies nur dann möglich sein, wenn Tarifverträge dies zulassen. Aussagen zum Thema Zeiterfassung lässt der Koalitionsvertrag aus, hier bleibt insbesondere abzuwarten, welche Konsequenzen die Bundesregierung aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom Mai 2019 zur vollständigen Arbeitszeiterfassung zieht. Immerhin findet sich dort ein Hinweis, dass flexible Arbeitszeitmodelle wie etwa die Vertrauensarbeitszeit weiterhin möglich bleiben sollen.
Kein allgemeines Homeoffice-Recht
Aussagen zum Arbeitsort, insbesondere zum während der Corona-Pandemie extensiv praktizierten Homeoffice bleiben im Koalitionsvertrag aus hiesiger Sicht zu Recht vage. Zwar deutet der Vertrag auf eine Expansion der mobilen Arbeit hin, geht aber nicht so weit, einen Anspruch auf Homeoffice zu gewähren. Im Ergebnis wird es wohl auf einen Anspruch auf Erörterung von Homeoffice-Möglichkeiten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer hinauslaufen. Unkonkret bleiben im Vertrag auch Aussagen zur digitalen Plattformarbeit und beschränken sich darauf, dass „gute und faire Arbeitsbedingungen“ wichtig seien und daher bestehendes Recht überprüft und Datengrundlagen angepasst werden sollen.
In der betrieblichen Mitbestimmung (Betriebsverfassungsgesetz) ist davon auszugehen, dass es weitere Änderungen geben wird. Nach der durch das Betriebsrätemodernisierungsgesetz 2021 bereits eingeführten erleichterten Gründung von Betriebsräten kündigt der Vertrag eine schärfere Sanktionierung der Behinderung der Betriebsratsarbeit an, die Staatsanwaltschaft soll Verstöße hiergegen zukünftig von Amts wegen verfolgen können. Online-Betriebsratswahlen sollen in einem Pilotprojekt erprobt werden, die Digitalisierung findet dergestalt Eingang in die Betriebsverfassung, dass Gewerkschaften ein Recht auf digitalen Zugang in die Betriebe verschafft werden soll, welches ihren analogen Rechten entspricht.
Tarifbindung soll gestärkt werden
Unkonkret bleiben Aussagen zur Stärkung der Tarifautonomie. Aufhorchen lässt hingegen die Aussage, dass zur Stärkung der Tarifbindung die öffentliche Auftragsvergabe des Bundes an die Einhaltung eines repräsentativen Branchentarifvertrages gebunden sein soll. Relevanz würde dies vor allem für Unternehmen haben, die sich auf Vergabeaufträge des Bundes bewerben. Interesse wecken die Ausführungen bezüglich der betrieblichen Altersversorgung, insbesondere wenn auf die Erlaubnis von Anlagemöglichkeiten mit höheren Renditen verwiesen wird. In Niedrigzinsphasen deutet dies auf Anlagemöglichkeiten mit höherem Risiko hin, auf die konkrete Umsetzung darf man gespannt sein. Ein Blick in das Familienkapitel des Koalitionsvertrages zeigt schließlich weitere arbeitsrechtliche Änderungen auf: So soll für die Partnerin oder den Partner nach der Geburt eines Kindes eine zweiwöchige vergütete Freistellung eingeführt werden. Mutterschutz und Beschäftigungsverbote soll es künftig bei Fehl- bzw. Totgeburten nach der 20. Schwangerschaftswoche geben. Überdies ist vorgesehen, den elternzeitbedingten Kündigungsschutz um drei Monate nach Rückkehr in den Beruf zu verlängern, um den Wiedereinstieg abzusichern.
Ein Beitrag von Dr. Frank Wertheimer